Ich kann viel besser rechnen, wenn ich glücklich bin.
Ja, ich weiß, eigentlich habe ich Urlaub, dennoch liegt mir ein Telefonat ziemlich im Magen. Mich rief eine verzweifelte Mama an. Sie beschrieb ihre Tochter als sehr bedacht, genau, feinfühlig- gspürig eben- und kreativ.
Die Schule ist unendlich schwer für sie, für sie und ihre ganze Familie. Eine enorme Belastung, Verzweiflung liegt in der Luft.
Sie sei zu langsam. Sie würde zu viel fragen. Es regnet 5er, weil sie nicht mithalten kann. In Prüfungssituationen geht nichts mehr. Arbeit auf Zeit ist für sie der Horror. Schulangst, große Selbstzweifel und Lernfrust machen sich breit. Ihr Selbstwertgefühl ist am Boden, sie fühlt sich minderwertig, als Versagerin.
Man könnte nach dieser Beschreibung einfach sagen, die Schuld liege an der Schule. Doch diese Schuldzuweisung ist viel zu kurz gegriffen. Ich kenne die Lehrer:innenseite nur zu gut. Es ist oft so schwer, die notwendige Zeit aufzubringen, Kinder individuell zu fördern, in einer nervenaufreibenden Stimmung (woher die wohl kommt?) in der Klasse die Geduld zu finden, um dieses Kind gut zu begleiten. Und an diesem Punkt reden wir noch gar nicht von den anderen Kindern, die ebenfalls spezielle Herausforderungen und Geschichten haben. Die Spuren, die Corona gezogen hat, klammere ich hier ebenfalls noch aus.
Wo müssen wir das Problem also suchen?
Meines Erachtens, und hier bin ich bestimmt nicht alleine, liegt es ziemlich offensichtlich an diesem starren, festgefahrenen, steinzeitlichen Bildungssystem! Wir verfügen über ein Schulsystem, das aus der Zeit der Industrialisierung herrührt und nach wie vor gehorsame, arbeitstüchtige, angepasste junge Menschen hervorbringen soll.
Die Veränderungen, die bereits in Gang sind, kratzen erst an der Oberfläche und es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Veränderung nur im Kleinen aufkeimen kann- sprich, in den Familien und in den Klassenzimmern.
Wir brauchen ein Bildungssystem, in dem kein Kind verloren geht, in dem keine Lehrperson innerlich oder äußerlich aufgibt, indem unsere Gesellschaft Bildung und unsere Kinder in den Mittelpunkt rückt und Eltern ihre Kinder gut aufgehoben wissen. Ein Bildungssystem, in dem echtes freudvolles Lernen stattfindet.
Es wäre also so wichtig, wenn Eltern & Lehrpersonen aufhören würden, sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, sich zu bekämpfen.
Gespräche auf Augenhöhe, eine angemessene Fehlerkultur, Empathie, Respekt und Selbstreflexion sind meines Erachtens Schlüsselfähigkeiten, damit sich etwas ändert. Und damit kann gleich heute begonnen werden. Unsere Kinder haben leider keine Lobby. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir ihre Lobby sind und sie in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft rücken, damit Potenziale zur Entfaltung kommen und unsere Kinder an diesem System nicht zerbrechen.
Dieses Mädchen und ich werden also zusammen arbeiten. Wir werden Wege finden, wie sie ihre Stärke wiederentdeckt, frei nach dem Satz: „Ich kann viel besser rechnen, wenn ich glücklich bin!“